Inhaltsverzeichnis
- Havanna – meine Eindrücke zur kubanischen Hauptstadt
- Erschreckendes äußeres Erscheinungsbild einer Grundschule in Vedado
- Vereinbarung eines Besuchstermins
- Ein Tag an der Grundschule und ein Blick hinter die Fassaden
- Werteerziehung findet jeden Morgen statt
- Morsche Fensterläden und marode Mauern umgeben die Kinder
- Flaggen und Statuen prägen das äußere Erscheinungsbild
- Tägliches Singen der Nationalhymne zu Schulbeginn
- Gymnastik zu Schulbeginn – ein tägliches Ritual der Preescolar-Gruppe
- Domino-Spielen im Klassenzimmer
- Eine traurige Wahrheit – Tourismus steht in Kuba vor Bildung
- Hervorragende Bildung auf Kuba? – Nicht wirklich!
- Frühstückspause – Zeit für Erholung
- Die gute technische Ausstattung kubanischer Grundschulen sah ich an dieser Grundschule leider nicht bestätigt!
- Es fehlte an Ausstattung!
- Improvisation war nötig
- Kinder wie Lehrer wurden durch die mangelnde Ausstattung in ihrem Handeln gebremst
- Die Gastgeschenke waren nur ein Tropfen auf dem heißen Stein
- Fazit zu meinem Schulbesuch
- Nachtrag: Kann man die Missstände an dieser Grundschule beheben und wenn ja, wie?
Havanna – Im Vorfeld der Reise verband ich die kubanische Hauptstadt in erster Linie mit Oldtimern, Zigarren, tanzenden Menschen, alten, malerischen Fassaden und Lebensfreude. Jetzt, nachdem ich dort war, sehe ich diese Assoziationen zwar teilweise bestätigt, lernte aber auch noch ein anderes Havanna – nur unweit des Centro Historico – kennen.
Havanna – meine Eindrücke zur kubanischen Hauptstadt
Ein Havanna, in dem die Einheimischen trotz sozialistischem System eine Zwei-Klassen-Gesellschaft bilden, die sich dadurch ergibt, dass die Kubaner in der Tourismusbranche u.a. durch Abzockerei mehr Geld verdienen, als arbeitende Lehrer. Und ich lernte ein Havanna kennen, in dem zumindest die Grundschule in Vedado einem katastrophalen Zustand gleicht. Ein Havanna, in dem die alten Fassaden größtenteils nicht malerisch, sondern vielmehr lebensgefährlich sind und in dem Kubas nach außen hin so hoch angepriesenes Bildungssystem im Ganzen nicht dem entspricht, nach was es scheint. Doch langsam, eins nach dem anderen.
Erschreckendes äußeres Erscheinungsbild einer Grundschule in Vedado
Gemeinsam mit meinem Freund war ich einen Monat in Kuba unterwegs. Abseits der Touristenpfade waren wir in der ersten Woche in einer Casa in Havannas Stadtteil Vedado untergebracht. Hier lebten wir unweit einer Grundschule, von der ich aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes ursprünglich nie im Leben gedacht hätte, dass sie noch aktiv ist. Erst als ich dort Kinder und Lehrer sah, stellte ich mit Erschrecken fest, dass diese baufällig erscheinende Gebäudeeinheit tatsächlich eine öffentliche Grundschule darstellte.
Vereinbarung eines Besuchstermins
Mir war klar, dass ich ihr einen Besuch abstatten und mir ein genaueres Bild davon machen wollte. Ich wollte herausfinden, ob mich der äußere Eindruck trügte und die Schule, wenn nicht von außen, dann vielleicht von innen ein Ort ist, der zum Lernen einlädt. Schließlich las ich im Vorfeld sehr viel über Kubas Vorzeige-Bildungssystem. Also betrat ich das Schulgelände und fragte nach einem Besuchstermin. Dort wurde ich nicht nur auf Anhieb sehr freundlich empfangen, sondern auch verstanden und eingeladen, am darauffolgenden Tag am Unterricht der Preescolar-Gruppe teilzunehmen. Außerdem erfuhr ich, dass es in Kuba keine privaten, sondern nur öffentliche Grundschulen gibt.
Ein Tag an der Grundschule und ein Blick hinter die Fassaden
Am nächsten Tag begann die Schule für die sieben Schützlinge der Preescolar-Gruppe genau wie für alle anderen Kinder und mich offiziell um 7.30 Uhr. Dabei waren die Kinder sehr darum bemüht, überpünktlich an der Schule zu sein. Und das hatte einen Grund: Täglich sitzt ab 7.00 Uhr morgens ein fester Mitarbeiter der Schule hinter dem Eingangstor und notiert die Namen der zehn Kinder, die zuerst das Schulgelände betreten, in einem Buch. Im weiteren Verlauf lässt er dieses Buch Tag für Tag der Schulleiterin zukommen. Diese hält die Namen in einer Tabelle fest. Alle zwei Wochen wertet die Schulleiterin aus, welche zehn Kinder in den 14 Tagen insgesamt am häufigsten frühzeitig da waren. Diese zehn Kinder erwartet dann eine Belohnung, z.B. in Form eines Museumsbesuchs.
Werteerziehung findet jeden Morgen statt
Wie mir der zuständige Mitarbeiter erklärte, möchte man die Kinder dadurch motivieren, pünktlich zu sein. Und es schien zu funktionieren. Nach der Begrüßung setzte ich mich gemeinsam mit dem Mitarbeiter um 7.00 Uhr an die oben erwähnte Bank und nur wenige Minuten später bog auch schon der erste Schüler um die Ecke. Ihm folgten im Minutentakt weitere Kinder. Jedes Kind wollte dabei pünktlicher sein als das andere, um es noch auf die Liste zu schaffen.
Persönliche Begrüßung von Lehrern und Kindern
Als die ersten zehn Kinder für diesen Morgen feststanden, klappte der Mitarbeiter das Büchlein zu. Hinter seinem Tisch blieb er dennoch sitzen und begrüßte jedes einzelne Kind sowie die Lehrer und Mitarbeiter mit „Buenos Dias“ beziehungsweise weil „internationaler Besuch“ da war zusätzlich mit „Good Morning“. Daraufhin grüßten alle eifrig zurück. Untereinander begrüßten sich die Kinder goldigerweise, wie unter Kubanern üblich, mit Küsschen auf die Wange. Den allgemeinen Begrüßungspart führte der Mitarbeiter, wie er mir stolz erzählte, neu ein. Mit dem Ziel, die Freundlichkeit und den gegenseitigen Respekt zu fördern.
Früh übt sich!
Ich kannte diesen sehr persönlichen Begrüßungspart in der Zwischenzeit schon von Grundschulen in Thailand und Mexiko und war hier an der kubanischen Grundschule einmal mehr davon begeistert. Vor allem, weil die Kubaner, wie ich während meines Kuba-Aufenthaltes feststellen musste, mehrheitlich bei Weitem nicht so freundlich waren, wie ich ursprünglich dachte. Deshalb fand ich es super, dass der Mitarbeiter die Werteerziehung an dieser Grundschule vorantrieb. Früh übt sich 😉!
Morsche Fensterläden und marode Mauern umgeben die Kinder
Während wir so da saßen und die Kinder begrüßten, ließ ich meine Blicke über das Schulgelände schweifen. Der Anblick stimmte mich traurig. Alles war sehr marode, fast schon baufällig. Den Klassenzimmertüren fehlte teilweise der untere Teil. Die Metallständer auf dem Sportplatz ließen nur noch erahnen, dass es sich dabei mal um Basketballkörbe gehandelt haben muss. Die Fensterläden waren morsch und hingen in Einzelteilen herum. Die Außenwände waren kahl, teilweise blätterte die Wandfarbe ab. Die Stühle, auf denen wir saßen, waren uralt, steinhart und vollkommen instabil. Von dem erschütternden Zustand der Sanitäranlagen mal ganz zu schweigen.
Für mich als Besucherin hatte diese Schule etwas „Antikes“. Doch ich denke im Arbeitsalltag kann man als Lehrer durchaus auf Antikes verzichten. Schließlich arbeitet man ja ursprünglich nicht in einem Antiquariat, sondern in einem Bildungsinstitut. Wie auch immer.
Flaggen und Statuen prägen das äußere Erscheinungsbild
Der Mitarbeiter erkannte meine Blicke. Und ich glaube, er wusste, was ich dachte. Offen angesprochen haben wir das Thema jedoch nicht. Stattdessen gingen wir zur Tagesordnung über und der Mitarbeiter führte mich ein bisschen über das Schulgelände. Dabei entdeckte ich, dass sich neben dem Schuleingangstor der Fahnenmast mit gehisster Landesflagge befand.
Wie mir der Mitarbeiter erklärte, wird die Flagge jeden Morgen vor Schulbeginn gehisst und nachmittags nach Schulende wieder eingeholt. Das ist traditionell so üblich, wie ich nach meiner Kuba-Rundreise bestätigen kann. Neben dem Fahnenmast stand – wie ebenfalls traditionell üblich – die Statue des Nationalhelden José Martí. Außerdem zierte ein Schriftzug mit dem Namen der Schule und dem Namenspatron den Eingangsbereich des Schulgeländes. Diese Aufmachung sei an kubanischen Grundschulen Pflicht, wie mich der Mitarbeiter wissen ließ.
Tägliches Singen der Nationalhymne zu Schulbeginn
Ich hätte noch so gern mehr über die Grundschule und ihre Gestaltung erfahren. Doch mehr Zeit blieb vorerst nicht für die Besichtigungstour, denn um 7.30 Uhr versammelten sich alle 132 Schulkinder geordnet auf dem Schulhof. Nach Klassen (Preescolar, Klasse 1-6) aufgereiht sangen alle Kinder samt Lehrern und Schulmitarbeitern die Nationalhymne, gefolgt von der schuleigenen Hymne. Dabei trugen nur die Kinder, nicht aber die Lehrer eine Uniform.
Nach dem Singen der Hymnen überreichte der Mitarbeiter das Büchlein mit den Namen an ein auserwähltes Schülerteam, das sich vorne auf einem Podest positionierte.
Nach und nach wurden von dem Schülerteam die Namen der Kinder genannt, die es an diesem Morgen schafften, zuerst an der Schule zu sein. Sie durften sich unter Beifall nebeneinander in einer Reihe aufstellen, bevor die Versammlung geordnet aufgelöst wurde.
Gymnastik zu Schulbeginn – ein tägliches Ritual der Preescolar-Gruppe
Im Anschluss daran begaben sich die Kinder der Klassen eins bis sechs gemeinsam mit ihren Lehrerinnen und Lehrern in ihre Klassenzimmer. Die Security-Mitarbeiter, die während des gesamten Schultages das Schulgelände bewachten, setzten sich an ihren Tisch im Schuleingangsbereich. Die Preescolar-Gruppe, die ich begleitete, machte mit ihrer Professora (dt.: Lehrerin) wie jeden Morgen in einer Art Aula Gymnastik. Dabei trugen alle Kinder ihre Uniform. Die Mädchen einen roten Rock und eine weiße Bluse, die Jungs eine rote kurze Hose und ein weißes Hemd. Zwischendurch störten immer mal wieder Straßenhunde das Geschehen, sorgten gleichzeitig aber auch für gute Laune. Nach circa 15 Minuten Gymnastik und Dehnübungen, die die Lehrerin mit ausgehöhlten afrikanischen Holzclaves musikalisch begleitete, gingen wir in das Klassenzimmer der Vorschulklasse.
Domino-Spielen im Klassenzimmer
Dort durften die Kinder eine Stunde lang Domino spielen. Dabei saßen sie an Vierer-Gruppentischen. Mit einem Domino übten und wiederholten die Kinder die Formen (Oval, Kreis, Rechteck, Quadrat, Dreieck), mit dem anderen die Zahl-Mengen-Zuordnung.
Ziel dieser Spieleeinheit war es, mathematisches Basiswissen zu festigen. Und dieses Ziel wurde erreicht. Wenn auch nicht nur auf dem ursprünglich gedachten Weg. Denn nach kurzer Zeit war das Domino spielen für die meisten Kinder nebensächlich. Vielmehr verwendeten sie die Domino-Steine zum Bauen. In den Bauwerken zählten sie Steine und erkannten verschiedene Formen. Dadurch schufen sich manche Kinder ihre eigene Lernwelt. Und man kann nur vermuten, dass sie dadurch wahrscheinlich mehr lernten, als wenn man sie mit aller Konsequenz zum Domino spielen angehalten hätte.
Klägliche Ausstattung des Klassenzimmers
Je mehr die Kinder entdeckten, desto besser wurde die Stimmung im Raum. Es war schön zu sehen, wie die Sprösslinge mit ihrer Entdeckerfreude den spärlich eingerichteten, dunklen und kalten Raum zum Leben erwachen ließen. Gleichzeitig fand ich es traurig zu sehen, dass kein weiteres Material zur Verfügung stand, mit dem die Kinder weiterbauen oder an das Entdeckte anknüpfen konnten. Denn irgendwann waren leider auch die Möglichkeiten der Domino-Bausteine erschöpft.
Der Mangel an Lernmaterial war vor allem deshalb schade, da das Klassenzimmer, im Gegensatz zu anderen Schulen, die ich in Mexiko und Thailand besuchte, sehr groß war und prinzipiell beste Voraussetzungen für (offene) Lernsettings geboten hätte. Leider gab es nur uralte Tische mit losen Tischplatten, eine in die Jahre gekommene Wandtafel, ein klappriges Holzregal, eine Garderobenleiste, marode Türen und Fensterläden, Feldbetten für die Mittagspause, zwei Ventilatoren und einen Röhren-TV. Sich richtig wohlfühlen und in eine Lernwelt eintauchen konnte man daher nicht.
Eine traurige Wahrheit – Tourismus steht in Kuba vor Bildung
Je länger ich mich umschaute, desto trauriger wurde ich. Ich fragte mich, wie es sein kann, dass alle Plätze (und Schulen) Havannas, die der Repräsentation dienen, prunkvoll glänzen und nebenbei u.a. diese Bildungseinrichtung in Vedado in so einem Zustand verharren muss. Eine Antwort darauf erhielt ich während meines Kuba-Aufenthaltes leider nicht. Allerdings erfuhr ich während meiner Reise, dass eine kubanische Grundschullehrkraft nur 697 CUP, also umgerechnet 21,- € PRO MONAT verdient. Da die Relationen auf Kuba deutlich anders als in Deutschland sind, reicht dieser Monatsverdienst einem kubanischen Lehrer zum Überleben. Allerdings nur knapp. Das wirklich Traurige daran ist, dass die Lehrer in Kuba als Staatsbedienstete deutlich unter dem Gehalt eines kubanischen Taxifahrers liegen. Denn allein EINE 30-minütige Fahrt vom Airport nach Vedado kostete durchschnittlich 25,- €. Natürlich kann man die Quote nicht hochrechnen und natürlich wandert ein Teil des Taxifahrer-Verdienstes in die Staatskasse. Dennoch liegt der Taxifahrer, wie ich mehrheitlich von Kubanern bestätigt bekam, am Ende des Monats DEUTLICH über dem Lehrermonatsgehalt.
Hervorragende Bildung auf Kuba? – Nicht wirklich!
Dabei fand ich es aus politischer Sicht traurig und bitter zugleich, dass man sich nach außen hin mit einem „kolossalen Bildungssystem“ brüstet, das in Wahrheit völlig dem Tourismus hinten ansteht. Nicht nur, dass die Lehrer mit ihrem Gehalt nicht hinkommen und häufig nebenher Jobs in der Tourismusbranche annehmen müssen beziehungsweise direkt in der Tourismusbranche arbeiten anstatt zu unterrichten.
Wie ich finde, wird sich aus politischer Sicht in Kuba zudem viel zu stark auf der geringen Analphabetenrate und der nach der Revolution von 1959 etablierten Schulpflicht ausgeruht. Stattdessen müsste man meiner Meinung nach an die Alphabetisierungserfolge anknüpfen und die Bildung weiterentwickeln. Von „hervorragender Bildung“ zu sprechen, obwohl in keiner der Grundschulen, die ich besuchte, Kinderfragen vorgesehen geschweige denn kritische Fragen seitens der Kinder erlaubt waren, erachte ich daher als nicht ganz richtig. Ebenso wie ich es nicht im Sinne der Bildung finde, Informationskontrolle zu betreiben. Wie sollen sich Lehrer und Kinder bilden, wenn die Quellen zensiert sind? Bei all den Gedanken, die durch meinen Kopf schwirrten, war es gut, dass eine Pause folgte.
Frühstückspause – Zeit für Erholung
Um 9.00 Uhr düsten die Kinder zum Hände waschen auf die Toilette, bevor sie anschließend eine halbe Stunde frühstücken und im Klassenzimmer spielen durften. Das Frühstück, das größtenteils aus Weißbrot/-brötchen und in einer Flasche abgefülltem Wasser sowie einer Flasche abgefüllter Cola bestand, brachten die Kinder von zuhause in ihrer Kindergartentasche mit. Auf den Pausenhof gingen die Kinder nicht. Dafür durften sie die volle Größe des Klassenzimmers ausnutzen und anders als im Unterricht, in dem sie kein Mitbestimmungs- und Mitgestaltungsrecht hatten, interessengeleitet Beschäftigungen auswählen und diesen nachgehen. Sie sangen mit ihrer Lehrerin Lieder, tanzten, malten mit Kreidestückchen an die Tafel und/oder spielten „1,2,3 .. Ochs am Berg“.
Neben den Kindern und der Lehrerin nutzte auch ich die Pause, um meine Gedanken bei einem Becher frisch gepressten Ananassaft, den ich als Gastgeschenk von dem Mitarbeiter erhielt, zu sortieren.
Die gute technische Ausstattung kubanischer Grundschulen sah ich an dieser Grundschule leider nicht bestätigt!
Um 9.30 Uhr versammelten sich alle Kinder gemeinsam mit ihrer Lehrerin um den Röhrenfernseher. Die Lehrerin schaltete den staatlichen Bildungskanal ein, der eher einer Teletubbies-Show glich. In einer 15-minütigen Sendung sollten die Kinder erfahren, wie man sich wäscht und Körperpflege betreibt. Die Inhalte dem Gezeigten zu entnehmen, war aufgrund der schlechten Bild- und Tonqualität – trotz größter Bemühungen seitens der Lehrperson – schwierig.
Die gute technische Ausstattung kubanischer Grundschulen, über die ich im zuvor so oft im Internet las, sah ich von daher zumindest an der Eloy Alfaro Delgado-Grundschule in Vedado leider nicht bestätigt.
Es fehlte an Ausstattung!
Dennoch fasste die Lerngruppe in einem anschließenden Gespräch die Inhalte des Films so gut es ging zusammen und die Lehrperson machte gemeinsam mit den Kindern Trockenübungen zum Waschen, Eincremen und Zähne putzen. Die Übungen real durchzuführen, wie es für den Lernerfolg eigentlich erforderlich gewesen wäre (vgl. Konfuzius), wäre in diesem Klassenzimmer nicht möglich gewesen. Dazu fehlte es leider an Ausstattung.
Improvisation war nötig
Um 10.30 Uhr folgte eine Stunde Mathematik. Die Kinder übten zunächst das Addieren und Subtrahieren von Mengen im Zahlenraum bis Zehn. Dazu erhielt jedes Kind zehn weiße Papierkreise, die Bälle symbolisieren sollten. Diese Papierkreise hätte eigentlich jedes Kind in einer Reihe vor sich hinlegen sollen. Da dies nicht wie geplant funktionierte, switchte die Lehrerin auf die Tafel um und malte die Zehnerreihe kurzerhand an. Im weiteren Verlauf lösten daher alle gemeinsam die von der Lehrerin vorgegebenen Rechenaufgaben an der Tafel.
Während dieser Zeit fiel ein Junge ins Auge, der einen roten Stern am Arm trug. Wie ich erfuhr, bekommt diesen Stern jeden Tag aufs Neue das fleißigste Kind der Lerngruppe von der Lehrerin an den Arm geheftet. Dadurch sollen die Kinder motiviert werden, mitzumachen, fleißig zu sein.
Kinder wie Lehrer wurden durch die mangelnde Ausstattung in ihrem Handeln gebremst
Nachdem die Lerngruppe ein wenig gerechnet hatte, sollten die Kinder das Ziffernschreiben üben. Doch auch das war aufgrund des fehlenden Materials eine echte Tortur. Die Kinder mussten mit viel zu dicken und viel zu kurzen Wachsmalstiften auf dafür viel zu kleines Papier schreiben. Dadurch verkrampften sie automatisch. Vernünftiges Schreiben war überhaupt nicht möglich. Von daher ließ die Lehrerin die Kinder ab einem gewissen Zeitpunkt einfach mit den Wachsmalstiften auf das Papier malen. Während all der Zeit fand ich es traurig zu sehen, wie sowohl die Lehrerin bei ihrer Arbeit als auch die Kinder beim Lernen durch die mangelnde Ausstattung gebremst wurden.
Die Gastgeschenke waren nur ein Tropfen auf dem heißen Stein
Dabei waren die Wachsmalstifte, die mein Freund und ich den Kindern aus Mexiko mitbrachten, ehrlich gesagt nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Dennoch waren die Kinder und die Lehrerin so dankbar und glücklich, dass sich die Geschenke wenigstens für den Moment lohnten.
Aufgeregt und zufrieden stellten die Kinder anschließend ihre Feldbetten vollständig auf und legten sich schlafen. Für uns beide endete damit ein lehrreicher Besuch an der Escuela Primaria Eloy Alfaro Delgado.
Fazit zu meinem Schulbesuch
Was ich von diesem Schulbesuch mehr als von jedem anderen gelernt habe, ist, dass man sich sowohl als Lehrer als auch als Mensch zwingend für ein Bildungssystem samt Bildungskonzept einsetzen muss, bei dem das Kind mit seinen Interessen und Bedürfnissen im Zentrum steht. Wenn man das nicht macht, ersetzen politische Interessen und Bedürfnisse die kindlichen. Welche gravierenden Folgen das für einem selbst als Lehrperson, für die nachfolgenden Lehrer-Generationen und vor allem für die Kinder haben kann, zeigt der Zustand der Eloy Alfaro Delgado Grundschule in Havanna eindringlich auf.
Kritisches Hinterfragen der Zustände an der Grundschule, an der man unterrichtet sowie selbstkritisches Hinterfragen der eigenen unterrichtlichen Tätigkeit sind meiner Meinung nach daher für uns Lehrer unerlässlich. Ebenso wie man sich nicht scheuen darf, gegebenenfalls persönliche Konsequenzen zu ziehen. Denn welchen Sinn macht es, an einem Bildungsinstitut zu arbeiten, das von Bildung meilenweit entfernt ist?
Nachtrag: Kann man die Missstände an dieser Grundschule beheben und wenn ja, wie?
Da mich die Missstände an der Escuela Primaria Eloy Alfaro Delgado in Havanna, Vedado sehr beschäftigten, recherchierte ich im Nachhinein sehr viel. Außerdem machte ich mir Gedanken dazu, ob und wie man die Missstände beheben könnte. Dabei kam ich insgesamt zu dem Ergebnis, dass die Hauptursachen in einer verbesserungswürdigen Bildungspolitik, einem niedrigen Lehrergehalt, einer schlechten Internetversorgung und einem fast nicht verfügbaren Angebot an Konsumgütern, wie Lehr- und Lernmitteln, liegen. Nicht nur, dass sich die Lehrer aufgrund ihres niedrigen Gehalts keine Ausstattung für ihr Klassenzimmer leisten können. Sie haben auch nur sehr begrenzte Möglichkeiten, entsprechende Ausstattung zu erwerben. Schließlich sind die Geschäfte, in denen man solche Produkte finden kann, rar bis nicht vorhanden. An Online-Verlage ist ebenfalls nicht zu denken.
Dennoch könnte man auch in Kuba Lernsettings gestalten und mit Material unterrichten. Dazu müsste man upcyclen und gebrauchtes Verpackungsmaterial zu Lernmaterial umfunktionieren. Ebenso wie man Naturmaterialien zusammensuchen und zum Lernen verwenden könnte. Allerdings können sich kubanische Lehrer diesbezüglich nur schwer Anregungen in Grundschulblogs, auf Pinterest oder allgemein online holen. Denn auf Kuba hat man nur gegen Entgelt (1 CUC pro 1 Stunde Wifi) an bestimmten Orten (z.B. in einigen Parks) begrenzten Internetzugang. Recherche nach Feierabend vom Sofa aus ist also Fehlanzeige! Die hohe Lehrerwochenstundenzahl der kubanischen Lehrkräfte darf darüber hinaus auch nicht außer Acht gelassen werden. Insgesamt bräuchte es daher mehr, um die Missstände zu beheben. Es bräuchte Unterstützung aus der Politik.
P.S. Die Mitarbeiter an der Grundschule in Havanna machen einen großartigen Job. Vielleicht könnt ihr sie bei einem bevorstehenden Kuba-Aufenthalt mit ein paar mitgebrachten Schulmaterialien unterstützen. Ihr würdet damit sowohl den Kindern als auch den Lehrern bestimmt eine große Freude machen!
Man darf bei allem nie vergessen, dass Kuba ein Entwicklungsland, ein 3. Welt Land, ist. Kuba wird von den USA seit Jahrzehnten drangsaliert und schafft es dennoch eine bessere Analphabeten-Quote zu besitzen als das so grossartige Deutschland.
Trotz der schwierigen Umstände leisten die Lehrer einen hervorragenden Job. Ich würde mir wünschen, dass sich hier manch ein Lehrer in Deutschland ein Beispiel dran nimmt.
Und die beschriebenen Ideen (Belohnungen für Pünktlichkeit, tägliche Gymnastik, respektvoller Umgang) sollten ebenfalls in D übernommen werden.
Anstatt sich an der Armut zu ergötzen, sollten wir anfangen, von Kuba zu lernen.
Aber dennoch danke für den Bericht.
Hi Jürgen. Vielen Dank für den Kommentar. Ich möchte mit dem Artikel zum Ausdruck bringen, dass ich es generell schlimm und traurig finde, wenn Kinder in maroden Gebäuden lernen und Lehrer unter solchen Umständen unterrichten müssen. Dabei ist das Land für mich zweitrangig. Wenn Sie bezüglich der maroden/nicht vorhandenen Ausstattung damit argumentieren, dass Kuba ein Entwicklungsland ist, finde ich es umso verwunderlicher, dass die Grundschule in Habana Vieja, dem Touristenzentrum schlechthin, prunkvoller nicht erscheinen könnte, während die Grundschule in Havanna Vedado, einem Ort, an dem Repräsentation nicht ganz so von Bedeutung scheint, in einem dermaßen maroden Zustand verharren muss. Das… Weiterlesen »
Hallo Lisa.
Toller Artikel und vollkommen nachvollziehbar, dass du dich da engagierst!
Meine Großeltern sind momentan auch dort und haben mich gebeten, die Adresse rauszubekommen, da sie einiges an Material dabie haben, welches Sie der Schule zu Gute kommen lassen wollen. Vielleicht kannst du helfen und uns sagen, in welcher Straße die Schule liegt?
Vielen Dank und weiter so!
Eric, Irmtraut und Dieter
Hallo Eric. Das freut mich sehr, dass deine Großeltern der Schule Material zugute kommen lassen wollen. Die Kinder und die Lehrer freuen sich ganz bestimmt darüber. Die Adresse der Schule sende ich dir gerne via E-Mail. Ganz liebe Grüße auch an deine Großeltern. Lisa
Der Klassiker: eine privilegierte Weiße spricht einem armen Land seine dennoch großen Errungenschaften im gesellschaftlichen Bereich ab, weil das Gebäude nicht „ihren Vorstellungen“ entspricht und sie war bei EINER ganzen Schule. Das ist an Arroganz kaum zu übertreffen. Nicht mal kubanische Politiker*innen romantisieren den Zustand an Schulen oder Krankenhäusern. Dennoch sprechen die „Hard Facts“ für Kuba – mit denen wurde sich hier natürlich nicht auseinandergesetzt.
Oh, ich glaube, da liegt ein Missverständnis vor. Ich möchte keineswegs irgendwem irgendetwas absprechen. Es tut mir leid, wenn das so rübergekommen ist. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie hier die großen Errungenschaften im gesellschaftlichen Bereich und die „Hard Facts“ einmal konkret benennen würden. Darf ich fragen, wie Sie darauf kommen, dass ich an nur einer Schule war? Ich möchte klarstellen, dass ich insgesamt mehrere Wochen auf Kuba war und während dieser Zeit vier Schulen besuchte, wobei ich nebenbei das Land bereiste. Zum Schulgebäude: Ich möchte unbedingt betonen, dass es mir nicht darum geht, ob das Schulgebäude oder die… Weiterlesen »