Josef (Kasachische Schule Nr. 1 Bestobe, Kasachstan, 1961-1965):
Ich ging von 1961-1965 in die kasachische Schule in Bestobe. Dort war ich nicht in einer kasachischen, sondern in einer russischen Klasse. Unsere Klasse war eigentlich nur in die kasachische Schule ausgelagert, weil die Klassenzimmer in der russischen Grundschule nicht ausreichten.
Ich selbst war kein Russe, sondern Russlanddeutscher, genau wie meine Familie auch. Als Deutscher wurde ich in Kasachstan oft als Faschist beschimpft. Die Diskriminierung war alltäglich. Das ärgerte mich. Am Anfang verstand ich auch gar nicht, warum sie mich beschimpften. Das kam erst später.
Bei meiner Einschulung war ich sieben Jahre alt. Man musste damals so alt sein. Wenn man jünger war, durfte man die Schule nicht besuchen. Wir hatten immer sechs Tage pro Woche Schule. Jeden Nachmittag vier Stunden. Eine Schulstunde dauerte 45 Minuten. Nach jeder Schulstunde waren 10 Minuten Pause. In dieser Zeit musste man in den Schulhof. Ich hatte von der ersten bis zur vierten Klasse dieselbe Lehrerin. Sie war ganz in Ordnung.
An meinem ersten Schultag, es war der 01. September 1961, brachten mich die Eltern zur Schule. Ab dann liefen wir alleine. Der Schulweg war so circa 400 m weit. Es war also kein Problem, von zuhause aus in die Schule zu laufen, aber einen Schulbus gab es sowieso nicht.
Mein Schulranzen sah aus wie eine Aktentasche mit Henkel. Sie hatte keinen Schulterriemen. Man musste sie immer mit dem Henkel in der Hand tragen. Ein Mäppchen gab es nicht. Wir banden unsere Stifte mit einem Haushaltsgummi zusammen. Die Schulbücher und Hefte mussten unsere Eltern bezahlen. Beides war aber nicht sehr teuer. Ansonsten kostete die Schule kein Geld.
Bei uns in der Grundschule gab es gemischte Klassen. Wir waren circa 30 Kinder in unserer Klasse. Wir saßen immer zu zweit nebeneinander und hatten einen gemeinsamen Pulttisch. Dieser war mit einer Holzbank verschraubt. In unserem Klassenzimmer gab es vorne ein Pult. Außerdem hing dort ein Lenin-Bild. Es hing in allen Klassenzimmern der Sowjetunion. In der zweiten Klasse bekam jeder von uns eine Lenin-Brosche. Wir mussten diese immer an die Kleidung heften – zur Erinnerung an die Oktoberrevolution. Außerdem mussten wir immer ein rotes Halstuch tragen. Das war so wegen des Kommunismus.
In der Schule gab es jeden Tag ein Glas Milch. Das war kostenlos. Außerdem gab es einen Kiosk, an dem man Essen und Trinken kaufen konnte. Ein Frikadellen-Brötchen kostete umgerechnet zwar nur 14 Euro-Cent, aber das war teuer damals. Deshalb bekam ich von den Eltern auch nicht jeden Tag Geld, um etwas am Kiosk zu kaufen. Wenn man kein Geld mitbekam, musste man die vier Stunden ohne Essen durchhalten. Das war aber in Ordnung, da es ja mittags und abends zuhause Essen gab.
Wir lernten jeden Tag Russisch, Lesen und Mathematik. Außerdem hatten wir jeden Tag eine Stunde Schreibunterricht. Dort lernten wir, schön zu schreiben. Ansonsten hatten wir abwechselnd Sport, Musik, Malen und Naturkunde. Hausaufgaben gab es jeden Tag auf. Die erledigte man immer am darauffolgenden Tag morgens, bevor man zur Schule ging. Bei uns war der Unterricht immer erst nachmittags. Noten gab es von Anfang an. Bei uns entsprach die Ziffer 6 „sehr gut“.
Wenn man in der Schule nicht brav war oder wenn man schlechte Noten hatte, gab es zuhause Schläge. Den Eltern zu verheimlichen, dass man nicht brav war oder schlechte Noten hatte, brachte nichts. Sie erfuhren davon sowieso. Entweder auf dem Elternabend oder wenn die Lehrerin einen Hausbesuch machte, um die Eltern über die schlechte Noten oder das schlechte Benehmen zu informieren. Außerdem gab es bei uns ein Wochenbuch. Dort trug die Lehrerin immer unsere Noten ein. Auch wenn wir nicht brav waren, machte sie dort eine Notiz für die Eltern. Eine Seite herausreißen konnte man nicht. Das hätten die sofort gemerkt.
Manchmal fiel die Schule wegen Schneesturm aus. Man wurde dann entweder gleich morgens von der Lehrerin wieder nach Hause geschickt oder die Eltern ließen einen gar nicht erst zur Schule laufen. Schulpflicht gab es zwar, aber an solchen Tagen war wie eine Art Ausnahmezustand.
Ich ging gerne zur Schule und ich hab mich auch immer angestrengt. Insgesamt war ich so ein mittlerer Schüler. Am besten gefielen mir die Ferien. Wir hatten jeden Sommer von Ende Mai-Monat bis Anfang September drei Monate Sommerferien. Bevor die Sommerferien los gingen, machten wir immer mit der ganzen Klasse einen Ausflug in die Steppe. Dort scheuchten wir Murmeltiere mit Wasser aus ihren Löchern und töteten sie danach. Wir mussten das machen, weil sie die ganzen Früchte aßen.
______
Erkennst du Ähnlichkeiten oder Unterschiede zu deiner eigenen Grundschulzeit? Dann schreibe dazu gerne etwas in den Kommentaren.
Wenn du selbst in einem ganzen Artikel über deine Grundschulzeit berichten möchtest, sende einfach deinen Bericht per E-Mail an schoolpioneer@protonmail.com. Ich freue mich, über deine Grundschulzeit zu lesen!