Eugen, Robert-Schuman Grundschule Pirmasens: Meine Grundschulzeit war geprägt von Integration!

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Eugen (Robert-Schuman Grundschule, Deutschland, 1990-1994):

Meine Grundschule war die Robert-Schuman Grundschule in Rheinland-Pfalz, Pirmasens. Ich kam 1990 mit sieben Jahren in diese Grundschule, nachdem wir von Kasachstan nach Deutschland übersiedelten. Bei der Einschulung entschieden die Lehrer, mich in die zweite Klasse zu setzen. Jedoch merkten sie bereits nach einigen Wochen, dass meine Fähigkeiten nicht ausreichten, um dem Unterricht zu folgen, sodass ich in die erste Klasse wechseln musste. Zu dem Zeitpunkt konnte ich weder in Deutsch schreiben, lesen noch ein Wort sprechen.

Wenn ich jetzt als Erwachsener zurückdenke, dann waren die ersten Monate für mich als Kind, das kein Wort Deutsch verstand, nicht einfach. Ich wollte schon in Kasachstan nicht in die Grundschule gehen und jetzt musste ich auf einmal in Deutschland in eine gehen, in der ich nichts verstand. Meine Mutter musste circa einen Monat hinten in der Klasse mit drin sitzen, bis ich mich an die fremde Sprache und die neuen Kinder gewöhnt hatte. Die ersten Tage heulte ich fast nur in der Klasse.

Meinem älterem Bruder erging es nicht viel besser, denn er wurde gleich in die fünfte Klasse gesteckt. Genau wie ich verstand er ebenfalls kaum Deutsch, sodass er sich die erste Zeit immer in der Schule unter einer Treppe versteckte und damit den Unterricht schwänzte. Wir beide hatten jedoch Glück, dass wir zu Beginn gute Lehrer hatten. Meine Lehrerin hieß Frau Dagun, wenn ich mich richtig erinnere. Sie war schon etwas älter und erfahrener. Der Lehrer von meinem Bruder hieß Herr Rosa, der ebenfalls viel Verständnis für die neuen Kinder aufbrachte.

Da wir nur eine Handvoll Kinder waren, die in verschiedene Klassen gesteckt wurden, waren wir auf uns alleine gestellt. Es gab in den Klassen keine anderen Kinder, die unsere Sprache verstanden oder etwas übersetzen konnten. Ein Erlebnis ist mir sehr in Erinnerung geblieben. Es war als wir ein Diktat zu Beginn in der zweiten Klasse schrieben. Die Lehrerin wusste, dass ich es nicht konnte, also ließ sie mich alles bei meiner Nachbarin abschreiben. Das tat ich so perfekt, dass ich sogar den Namen der Nachbarin mit abschrieb. Heute kann ich darüber lachen, damals war es ganz schön peinlich.

Dennoch besserten sich meine deutschen Sprachkenntnissen schnell in der Grundschule. Vor allem, weil mich die anderen Kinder schnell akzeptierten und ich auch einige einheimische Freunde gewonnen hatte. Die Grundschulzeit wurde dann immer besser und ich hatte mehr Spaß an der Schule. Ich traf mich auch außerhalb der Schule mit einheimischen Schülern zum Spielen. In der Klasse machte ich mich vor allem damit beliebt, weil ich gut zeichnen konnte. Ich merkte, dass es meinen Klassenkameraden gefiel, also malte ich ihnen Comic-Figuren von Disney und schenkte sie ihnen. Einige dieser Zeichnungen, es waren meist Mickey-Mouse Zeichnungen, konnte ich sogar für eine D-Mark verkaufen. Insgesamt waren meine Schulleistungen mittelmäßig. Ich träumte oft vor mich her, hörte wenig dem Lehrer zu und kritzelte lieber auf dem Blatt irgendetwas herum.

Neue Aussiedlerkinder brachten viele Herausforderungen für die Grundschullehrer

Mit der Ruhe war es jedoch bald vorbei, denn nach einiger Zeit kam im Jahr 1992 eine weitere Welle von Aussiedlern (Info: Aussiedler sind zwischen 1700 und 1900 ausgewanderte Deutsche Bürger) aus der ganzen ehemaligen Sowjetunion zurück nach Deutschland. Es waren meistens Kinder aus Russland und Kasachstan, aber auch Aussiedler aus Polen, der Ukraine, Rumänien und Bulgarien. Viele dieser Kinder hatten eines gemeinsam: sie verstanden die russische Sprache, aber nicht die deutsche. Überhaupt konnten in den Aussiedlerfamilien nur noch die Großeltern Deutsch sprechen und schreiben. Die Eltern und die Kinder beherrschten die deutsche Sprache kaum.

Zu dem Zeitpunkt waren solche Kinder wie ich bei den Lehrern sehr gefragt, da wir bereits die deutsche Sprache beherrschten und somit den Neuankömmlingen helfen konnten. Irgendwann fanden wir es aufregend, als die Lehrerin sagte, wir bekommen einen neuen Schüler. Die neuen Schüler wurden meistens zu den Schülern dazu gesetzt, die zwei Sprachen beherrschten. Kaum hatte man sich an einen Nachbar gewöhnt, so musste er eine Sitzbank weiterziehen, wenn ein neuer kam.

Irgendwann waren auch die Lehrer anscheinend überlastet, sodass Sprachkurse für die Aussiedler und Ausländer eingeführt wurden. Jeder Neuankömmling musste einige Stunden in der Woche zu so einem Sprachkurs. Diesen musste er so lange besuchen, bis sein Deutsch gut genug war um dem normalen Unterricht folgen zu können. Ich musste diese Sprachkurse nicht besuchen, da mein Deutsch bereits gut genug war. Jedoch wusste ich, dass die Sprachkurse den anderen nur mittelmäßig weiterhalfen. Da saßen dann zehn Kinder in einem Raum, die alle die deutsche Sprache nicht verstanden und vorne stand ein Grundschullehrer, der versuchte, sie ihnen bei zu bringen. Da wurde mehr Quatsch gemacht als gelernt. Meiner Meinung nach bewirkten diese Sprachkurse genau das Gegenteil. Die Kinder sprachen in den Sprachkursen mehr die russische Sprache als die deutsche, weil sie unter sich waren. Die beste Integration wäre gewesen, jedes fremde Kind neben ein deutsches Kind zu setzen, damit es von diesem lernen konnte. So wie es bei mir war!

Zu Beginn waren viele Aussiedlerkinder sehr schüchtern, weil sie erstens oft alleine waren, ihnen zudem alles fremd war und sie kaum Freunde hatten und die Sprache wenig konnten. Mit den Jahren änderte sich jedoch die Atmosphäre massiv, als immer mehr Aussiedler ankamen. Viele Aussiedlerkinder fingen an, Grüppchen oder kleinere Gangs zu bilden, die oft unter sich blieben. Nur in seltenen Fällen verirrten sich deutsche Kinder in diese Grüppchen. Nur wenige Kinder, die nach mir kamen, bauten dann noch Freundschaften mit den Einheimischen deutschen Kindern auf, was ich sehr schade fand. In der Grundschule war dieses Verhalten weniger ausgeprägt als in der Hauptschule. Dieses Verhalten brachte viele weitere Probleme mit sich, die nicht gerade zur Integration beitrugen. Beschimpfungen und rassistische Äußerungen unter den Kindern hörte man immer öfters und hier und da fingen auch die ersten Raufereien an. Es wurde ein Teufelskreislauf in Gang gesetzt.

Diskriminierende Äußerungen einer Lehrerin

So manchem Lehrer wurden die vielen Aussiedler und ausländischen Kinder wahrscheinlich zu viel. Hier kann ich mich an ein gutes Beispiel erinnern, als ein bosnischer Junge in der vierten Klasse als Flüchtling zu uns kam. Zuerst war er sehr schüchtern, dann lebte er richtig auf und machte natürlich wie alle Kinder auch im Unterricht Quatsch. Die Lehrerin sagte zu ihm „Wenn er sich nicht benehmen kann, dann kann er ja zurück nach Bosnien gehen“. Damals verstand ich es noch nicht, aber es war eine klare diskriminierende Äußerung. Der Junge musste tatsächlich irgendwann zurück in sein Land, da seine Familie als Flüchtlingsfamilie nur so lange bleiben durfte, bis ihr eigenes Land wieder sicher war. Ich weiß nicht mehr, wie der Junge hieß, aber diesen Augenblick werde ich wohl nie vergessen und vor allem seinen Gesichtsausdruck, als er von der Lehrerin ermahnt wurde.

Solche diskriminierenden oder rassistische Äußerungen, egal von wem sie kommen, treiben die Kinder und ihre Eltern, die in einem fremden Land Fuß fassen möchten, zu Gleichgesinnten. Dadurch entsteht eine Parallelgesellschaft. Sie isolieren sich immer mehr von der einheimischen Bevölkerung und bleiben immer stärker unter sich. Was dazu führt, dass die Integration für die Familien oft für Jahrzehnte gescheitert ist.

Was wurde aus mir nach der Grundschulzeit?

Neben den Integrationsproblemen, die ich live als Kind die ganzen Jahre in der Grundschule miterleben durfte, hatte ich keine schlechte Grundschulzeit. Nach der Grundschule empfahl mir meine Lehrerin, in die Hauptschule zu gehen. Meine Eltern entschieden sich, mich in die Realschule zu stecken. Naja, nach zwei Jahren in der Realschule flog ich wegen schlechter Noten raus. Ich landete dann doch in der Hauptschule und erlebte die volle Integrationsproblematik, die sich dort abspielte. Das ist jedoch ein anderes Thema. Jedenfalls machte ich die Hauptschule plus zehnte Klasse fertig, schloss dann eine Ausbildung als Bauzeichner ab, ging anschließend BWL studieren und gründete mein eigenes Unternehmen. Heute reise ich durch die Welt als digitaler Nomade. Diesen Gastartikel schrieb ich aus der Karibik, genauer gesagt aus Tulum, Mexiko. Adios Amigos!

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Erkennst du Ähnlichkeiten oder Unterschiede zu deiner eigenen Grundschulzeit? Dann schreibe dazu gerne etwas in den Kommentaren.

Wenn du selbst in einem ganzen Artikel über deine Grundschulzeit berichten möchtest, sende einfach deinen Bericht per E-Mail an schoolpioneer@protonmail.com. Ich freue mich, über deine Grundschulzeit zu lesen!

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