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Am Tag der Observation machte ich mich erneut auf den Weg zur Montessori School Bali. Schon kurze Zeit nachdem ich mich auf dem Schulgelände eingefunden hatte, begrüßte mich wieder Jan, die Schulleitern. Sie hatte Neuigkeiten. An dem Ablauf meiner Observation sollte sich etwas ändern. Ich dürfte nicht nur – wie ursprünglich geplant – in der Lower Primary Class observieren, sondern Einblicke in den Unterricht aller Jahrgangsstufen erhalten. Das waren großartige Neuigkeiten. Und kurze Zeit später ging es auch schon los.
Einblicke in den Unterricht
Zuerst observierte ich in der Upper Primary Class. Danach besuchte ich eine Lower Primary Class, dann eine Kindergarten-Gruppe und am Ende die Toddler Group. Auf dem Weg zu den einzelnen Klassenzimmern war es dabei so ruhig, so harmonisch, so sauber und die Grünanlagen waren so gepflegt, dass nicht nur in den Klassenzimmern selbst, sondern auch außerhalb eine richtig positive Atmosphäre herrschte.
Was den Unterricht angeht, konnte ich eigentlich in allen Klassen und Gruppen dasselbe beobachten. Und das meine ich keineswegs negativ. Vielmehr möchte ich sagen, dass das Konzept Maria Montessoris an der gesamten Schule unabhängig der entsprechenden Lehrperson und der entsprechenden Lerngruppe etabliert wurde.
Förderung der Selbstständigkeit
In allen Klassen und Gruppen war das Material – wie mir Susan bei meinem letzten Besuch bereits theoretisch erklärte – die Basis des Unterrichts. Dadurch mussten die Kinder nicht warten, bis die Lehrperson eine Seite im Buch erklärt und ihnen anschließend eine Aufgabe zur Bearbeitung genannt hatte. Vielmehr konnten sie sich interessenorientiert und den eigenen Bedürfnissen entsprechend Material aus dem überall im Klassenraum bereitgestellten und gleichzeitig gut strukturierten Materialpool holen und damit arbeiten. Das taten sie mit großer Freude und durchweg mit hoher Disziplin.
Gleichzeitig konnte ich beobachten, dass die Kinder wirklich sehr selbstständig mit dem Material arbeiteten. Sie benötigten kaum Anweisungen beziehungsweise Arbeitsaufforderungen seitens der Lehrperson und sie wählten alle selbst ihr Material aus. Damit verband ich einerseits, dass die Kinder diese Art zu lernen und zu arbeiten auf jeden Fall gewohnt waren. Andererseits, dass das materialbasierte Lernen die Bedürfnisse der Kinder deutlich besser stillt als das schulbuchbasierte Lernen. Denn die Kinder waren wirklich die ganze Zeit über mit großer Begeisterung und großem Arbeitseifer bei der Sache. Zu Störungen kam es kaum. Auch wenn sich die Lehrerin gezielt einem Kind widmete, arbeitete der Rest der Lerngruppe durchweg zielstrebig weiter.
Übungen des täglichen Lebens
Vielleicht taten dazu auch die Übungen des täglichen Lebens, die hier in allen Lerngruppen konsequent Berücksichtigung fanden, ihr übriges. Denn die Lehrpersonen bereiten die Kinder immer eine Stufe zuvor auf die Anforderungen der nächsten Stufe vor. So lernen die Kinder beispielsweise im Kindergarten ihren eigenen Lernprozess zu planen. Vom Babyalter an werden die Kinder hier als vollwertige Person wahrgenommen und dürfen ganz selbstverständlich gestalten und agieren. So konnte ich zum Beispiel beobachten, wie die Kleinen durch bereitstehendes Material lernten, wie man sich an- und auszieht und selbst zur Toilette geht.
Außerdem sah ich, wie einige Knirpse nach Interesse munter lernten, wie man Wäsche aufhängt. Diese Wäsche aufhängenden Babies waren für alle Erwachsenen ein niedliches Highlight.
Förderung des individuellen Lernens
Auch hinsichtlich der Förderung des individuellen Lernens konnte ich wertvolle Beobachtungen machen. So wies die Lehrerin der Upper Primary Class eine kleine Gruppe (4 Kinder) in einem Kinokreis gerade in ein neues Thema ein, während parallel zwei Kinder der Klasse zu unterschiedlichen Themen an den PCs arbeiteten. Ebenfalls zeitgleich arbeitete der Rest der Lerngruppe entsprechend der eigenen Interessen und der eigenen Bedürfnisse an unterschiedlichen Themen. Dabei durften sich die Kinder bei Bedarf mit den anderen Kindern ihrer Tischgruppe austauschen und beraten – auch wenn diese gerade mit einem anderen Thema beschäftigt waren.
Auch in der Lower Primary Class ging es während meines Besuches bunt zu. Zwei Kinder musizierten, ein anderes Kind las, einige Kinder schrieben, wieder andere rechneten und manche spielten mit der Assistentin das Verb Game. Alle waren beschäftigt, jeder entsprechend seiner Interessen und jeder lernte etwas für seine eigene Entwicklung Bedeutsames.
Gespannt beobachtete ich auch, wie die Lerngruppe der Upper Primary Class im Kinokreis weiterarbeitete, nachdem die Lehrperson sie in das neue Thema (Quadrierung der Binome) eingewiesen hatte. Der Austausch nahm nicht ab, nachdem sich die Lehrperson aus der Gruppe zurückzog und sich anderen Kindern widmete. Im Gegenteil. Die Lerngruppe diskutierte heftigst weiter. Und die Kinder schienen sich durch den gegenseitigen Meinungsaustausch im eigenen Verstehensprozess sehr zu unterstützen.
Übrigens mussten die Kinder bezüglich der Quadrierung der Binome kein vorgefertigtes Tafelbild übernehmen. Stattdessen durften sie sich eigene Notizen zu dem Thema machen und dadurch langfristig lernen, wichtige Etappen im Lernprozess zu dokumentieren.
Beobachtungen allgemeiner Art
Im Allgemeinen kann ich berichten, dass im Rahmen der Observation die Vorzüge der Architektur einmal mehr deutlich wurden. Alle Klassenräume kamen aufgrund der Verglasung mit natürlichem Licht aus. Künstliches Licht benötigte man nicht.
Lernen in entspannter Atmosphäre
Die Lichtverhältnisse trugen sicherlich zum Wohlfühlen bei. Doch auch ansonsten war die Atmosphäre in allen Klassenräumen sehr entspannt. Weder die Kinder noch die Lehrpersonen wirkten zu irgendeiner Zeit gestresst. Dabei schien sich die angenehme Atmosphäre positiv auf das Lernen der Kinder auszuwirken. Wie ich feststellte, sind diese im kognitiven Bereich nämlich sehr weit entwickelt. Bereits im Kindergarten konnte ich Kinder dabei beobachten, wie sie mühelos Wörter lautierten. Einige arbeiteten sogar schon mit der Zehnerreihe. Ich fand es schön zu sehen, dass man den natürlichen Wissensdrang der Kinder unterstützt.
Lernen für’s Leben
Ganz begeistert war ich insgesamt davon, wie viel die Kinder an der Montessori School Bali für’s Leben lernen. Die Basis dafür bilden sicherlich die vielen Materialien aus dem Bereich „Übungen des täglichen Lebens“. So verfügt jedes Klassenzimmer über eine Küche, ein Kehrset, Putzlappen und vieles, vieles mehr. Damit können die Kinder ganzheitlich und handlungsorientiert lernen. Dabei dürfen sie Lernerfahrungen bezüglich Boden kehren, Wäsche aufhängen, richtig zur Toilette gehen, sich die Haare kämmen, einen Tisch abwischen, Pflanzen pflegen, einen Wochenplan erstellen etc. lernen – um nur einige Beispiele zu nennen.
Dieser Praxisbezug ermöglicht den Kindern auch außerhalb der Schule ein hohes Maß an Selbstständigkeit und Unabhängigkeit. Die Kinder lernen all diese Dinge wirklich für ihr Leben und vor allem – nur nach Bedarf!
Action Cards – Übungen des täglichen Lebens spielerisch in den Unterricht integrieren
Speziell das Verb Game, das die Kinder spielten, während ich die Lower Primary Class besuchte, hinterließ einen bleibenden Eindruck bei mir. Deshalb werde ich darüber noch einen separaten Artikel schreiben. Denn ich bin der Meinung, dass man das Spiel in etwas abgewandelter Form auch im traditionellen Unterricht nutzen kann, um speziell die Übungen des täglichen Lebens spielerisch in den Unterricht zu integrieren.
Gespräch mit der Schulleiterin
Im Anschluss an die Observation lud mich Jan ein, sie in ihr Büro zu begleiten. Diese Einladung wusste ich wirklich zu schätzen.
Grace & Courtesy als Bestandteil des Curriculums
Was mir bis dahin noch nicht so bewusst war und worüber ich unter anderem froh war, es von Jan anschließend zu erfahren, ist, dass Grace & Courtesy (dt.: Anmut & Höflichkeit) an der Montessori School Bali feste Bestandteile des Curriculums sind.
Damit ist gemeint, dass die Kinder im Rahmen verschiedener Lektionen lernen, ihre Mitmenschen wahrzunehmen und auf diese zu reagieren. So lernen die Kinder bereits in der Vorschule u.a. auf Hilfe zu warten, Hilfe anzunehmen, um Erlaubnis zu fragen, einen Imbiss zu servieren, sich zu entschuldigen, jemanden einzuladen, Privatsphäre einzufordern, mit leiser Stimme zu sprechen und auf höfliche Weise Nein zu sagen.
Dadurch sollen sich die Kinder später besser in der Gesellschaft zurechtfinden und zu freundlichen, achtsamen und selbstbestimmten Menschen erzogen werden.
Fazit zur Montessori School Bali
Insgesamt bin ich sehr froh, dass ich die Montessori School Bali besuchen und dort auch im Unterricht observieren durfte. Ich erhielt viele neue Informationen und wurde in vielerlei Hinsicht positiv überrascht. Dadurch kann ich mir nun ein viel genaueres Bild von einer Montessori-Schule machen. Denn die Montessori School Bali scheint die Erziehungsabsichten Maria Montessoris wirklich ernst zu nehmen.
Im Vergleich zur traditionellen Schule konnte ich insgesamt eine Vielzahl an Vorteilen feststellen. Die Kinder erlernen von Beginn an regelmäßig neben fachlichen Inhalten auch lebenspraktische Dinge. Und zwar in einem materialbasierten, offenen Unterricht vom Konkreten ausgehend zum Abstrakten hinführend.
Durch eine strukturierte vorbereitete Lernumgebung werden die Kinder eingeladen, zu jeder Zeit selbstständig, interessenorientiert und den eigenen Bedürfnissen entsprechend zu lernen. Materialbasiert mit Kopf, Herz und Hand. Um den Interessen der Kinder in umfassender Weise gerecht zu werden, ergänzt man das Montessori-Material durch Zusatzmaterial. Dadurch passt man es den Bedürfnissen einer Lerngruppe an. Man betrachtet die vorbereitete Lernumgebung zusammenfassend demnach als dynamisch, als veränderbar. Zusätzlich schafft man durch die jahrgangsgemischten Klassen ein natürliches Helfersystem und fördert das Sozialverhalten der Kinder.
Durch all diese Maßnahmen und Bedingungen schafft man meiner Meinung nach gute Voraussetzungen dafür, dass die Kinder auch als Erwachsene begeisterte Lerner bleiben.
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